Christopher Boone
„Ich heiße Christopher John Francis Boone. Ich kenne alle Länder der Welt und ihre Hauptstädte und sämtliche Primzahlen bis 7.507.“
So stellt sich der Protagonist des Romans Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone vor, geschrieben von Mark Haddon und erschienen im Jahr 2003.
Christopher Boone ist kein gewöhnlicher Junge. Christopher ist Autist. Er möchte ein Buch schreiben. Und er möchte einen Mordfall lösen.
Der Protagonist Boone
Christopher lebt ein Leben, das geprägt ist von seinem Bedürfnis nach Ordnung und Gewohnheit. Da seine Mutter verstorben ist, lebt er mit seinem alleinerziehenden Vater und hat ansonsten keinerlei Bezugspersonen oder Freunde außer Siobhan, eine Lehrkraft auf der Sonderschule, zu der Christopher geht.
Sein Vater liebt Christopher zärtlich, aber auf „gewöhnliche“ Weise ausdrücken kann er es nicht. Sein Sohn mag es nämlich gar nicht, angefasst zu werden. Die einzige Art, wie er körperliche Nähe zulässt, ist die folgende: Der Vater hebt die Hand, spreizt die Finger zu einem Fächer und Christopher tut dasselbe, bevor beide ihre Hände aneinander legen. Mehr Körperkontakt möchte Christopher nicht; er verbringt gern viel Zeit alleine oder mit seiner Ratte Toby. „Ich finde die Menschen sehr verwirrend“, sagt er – und mal ehrlich, verstehen kann man ihn.
Boones Supergute Tage
Auch andere Eigenheiten machen Christopher Boone zu einem Romanhelden der besonderen Sorte. Er liebt die Farbe Rot, weswegen Tage, an denen er fünf rote Autos hintereinander sieht, „supergute Tage“ sind, an denen man alles wagen und Regeln getrost vergessen kann (so kommt der Buchtitel zustande). Regeln sind für gewöhnliche Tage. Außerdem meint er: „Die Leute sagen gern, was man nicht tun darf, aber sie selbst halten sich nicht daran. Deshalb entscheide ich lieber selbst, was ich tue und was nicht.“
Die Farben Gelb und Braun hingegen kann Christopher nicht leiden. Ist sein Essen gelb oder braun, mischt er rote Lebensmittelfarbe bei und berühren dürfen sich verschiedene Lebensmittel auf seinem Teller ebenfalls nicht, ansonsten werden sie nicht gegessen. Er lügt nicht, da Lügen ihn verwirren und er liebt Primzahlen. Wenn jemand über ihn lacht, geht er einfach weg. Einmal spricht er fünf Wochen lang mit niemandem. Bei Überforderung oder Angst fängt er an zu schreien, Sachen kaputt zu hauen und wild um sich zu schlagen. Er kann Emotionen, Körpersprache und Mimik anderer Menschen schlecht deuten, da er vieles davon selbst nicht auf dieselbe Weise empfindet. Logik übertrumpft bei ihm stets das Gefühl und viele Reaktionen seiner Umgebung verwirren ihn, weil sie meistens genau umgekehrt funktionieren.
Zukunftsträume
Wie bei Autisten nicht ungewöhnlich, zeigt Christopher eine spezifische Inselbegabung. Er hat ein photographisches Gedächtnis, ist hochtalentiert in Mathematik und erzielt darin so herausragende Leistungen, dass er das Abitur schon jetzt, in seinen jungen Jahren, ablegen und später an einer Universität Mathematik oder Physik studieren möchte. Selbstzweifel verspürt er hier keine; er ist sich sicher, eine Eins zu schreiben.
Aber auch kreativen Ehrgeiz kennt der Fünfzehnjährige: Er möchte ein Buch schreiben, am liebsten einen Kriminalroman, da ihm die Sherlock Holmes-Geschichten so gut gefallen. Tatsächlich ereignet sich etwas, das Christophers Routine unterbricht und zu seinem ersten Fall wird …
Ein Mord geschieht
Eines Tages sieht Christopher den Pudel der Nachbarin, Wellington, mit einer Mistgabel erstochen auf dem Rasen liegen. Angst oder Ekel empfindet er nicht, aber es tut ihm Leid um das Tier. Christopher mag Hunde: „Man weiß immer, was sie denken. Sie haben nur vier Stimmungen: glücklich, traurig, ärgerlich und aufmerksam. Außerdem sind sie treu. Und Hunde lügen nicht, weil sie nicht sprechen können.“ Die besseren Menschen quasi.
Christopher nimmt Wellington in den Arm, da kommt auch schon die Besitzerin kreischend über den Rasen angerannt. Kreischen kann unser Held gar nicht leiden und rollt sich stöhnend auf dem Boden zusammen, bis die Polizei kommt. Da einer der Polizisten ihn anspricht, zu viele Fragen stellt und Christopher zu allem Überfluss am Arm packt, haut der ihm konsequenterweise eine rein. Er landet für’s Erste in einer Zelle, die ihm eigentlich ganz gut gefällt; immerhin endlich Ruhe. Sein tobender Vater holt ihn allerdings wieder da raus und Christopher kommt mit einer Verwarnung davon. Besonderen Eindruck hat das Erlebnis nicht auf ihn gemacht; in Gedanken ist er immer noch bei Wellington. Er beschließt, Fragen zu stellen, herauszufinden, wer den Pudel getötet hat, und darüber ein Buch zu schreiben – übrigens sehr zum Missfallen der Nachbarschaft.
Mitten in seiner Ermittlungsarbeit stößt der junge Detektiv auf eine Schachtel, weit oben auf dem Schrank seines Vaters. Darin verborgen liegen Briefe, ein ganzer Stapel davon, ungeöffnet. Der Absender: Christophers Mutter, die doch schon seit Jahren angeblich tot ist … Und hier geht die Geschichte erst richtig los.
Boone – Ein Anti-Held?
Christopher Boone ist ganz klar ein Außenseiter, jemand, in den sich der Großteil der Leserschaft nur schwer hineinversetzen kann – denn was wissen wir schon darüber, wie es ist, autistisch zu sein? Mark Haddon, der Autor, hat sich mit dem vielseitigen Krankheitsbild beschäftigt und ohne Expertenstatus zu reklamieren einen Einblick in die Welt von Christopher geschaffen, die durchzogen ist von kühler Logik und Gedankengängen, die zwar vielleicht „sonderbar“, aber bestechend klug und manchmal rührend naiv sind.
Haddon wollte die Geschichte eines Außenseiters schreiben und Verständnis für die Individualität und Weltsicht wecken, die andere Menschen, die uns vielleicht „sonderbar“ vorkommen, ausmachen. Das ist ihm gelungen. Auch wenn die Sprache der Geschichte schlicht ist, ist das Buch keineswegs nur für junge Leser*innen geeignet. In manchen Sätzen offenbart unser Held Christopher wie nebenbei einige Wahrheiten über unsere Gesellschaft und „normale“ zwischenmenschliche Interaktion, mit denen er auch erfahrene Bücherliebhaber*innen bereichern kann.