Hermann Hesse

Hermann Hesse

Hermann Hesse

Hermann Hesse wird meiner Meinung nach in der heutigen Zeit unterschätzt. Es stimmt, dass vieles von Hesses Werk einer ähnlichen Struktur folgt: Oft sind seine Romane Lebens- und Entwicklungsgeschichten, nicht selten autobiographisch geprägt, und manchmal schnuppert es ein wenig nach Kitsch; aber gleichzeitig strömt aus jeder Zeile Hesses ehrliche, authentische Emotion. Seine Geschichten fließen harmonisch, vermögen es, zu fesseln, und halten so einige Lebensweisheiten bereit. Ein Zitat von ihm lautet beispielsweise: „Alles Glück ist Liebe. Wer lieben kann, ist glücklich.“ Das mag kitschig klingen, aber ist es deshalb weniger wahr?

Hesses Leben ging keinen schnurgeraden Weg und bot dem Schriftsteller vermutlich gerade deshalb genug Gelegenheit, um Erfahrungen und Weisheiten zu sammeln, die aus dem Autoren von Unterm Rad (1906) den gereiften Schöpfer von Das Glasperlenspiel (1943) machten.

Keine leichte Kindheit


Als Hermann Hesse 1877 in Calw, einer Stadt in Baden-Württemberg, geboren wurde und später in Basel aufwuchs, vermutete wohl keiner aus seiner Familie, dass er einst den Nobelpreis für Literatur und den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste gewinnen und einer der berühmtesten deutschen Schriftsteller aller Zeiten werden sollte.

Hermann selbst hat es vielleicht gewusst; als sehr fantasiebegabtes und intelligentes Kind drückte er sich früh gewählt aus, schrieb Gedichte und Märchen, malte Bilder und las stundenlang in der umfassenden Bibliothek seines Großvaters. Später würde er aus einem Kloster Maulbronn ausbüchsen, welches aus ihm einen Theologen machen wollte, und verkünden, er wolle „Dichter oder gar nichts“ werden.

Nach seinem Ausbruch aus dem Kloster Maulbronn begann eine Reihe heftiger familiärer Konflikte. Man schob Hermann von einer Schule und Anstalt in die nächste, nie konnte er sich einfinden. Schlussendlich versank er in eine depressive Phase und unternahm mit vierzehn Jahren gar einen Selbstmordversuch. Daraufhin ergriffen die geschockten Eltern härtere Maßnahmen: Der Junge kam in eine Nervenheilanstalt. Natürlich fühlte der Jugendliche sich verstoßen und verraten; aus seinen Briefen, in denen er sich als „Welthasser“ bezeichnet, ist herauszulesen, wie einsam und unverstanden er sich fühlt und seinen Eltern nur schwer verzeihen kann. Später verarbeitet Hesse diese frühen Erfahrungen in seinem Roman Unterm Rad (1906).

Hesses Lehrjahre


Lehrjahre sind keine Herrenjahre und das wurde auch unserem Hermann rasch bewusst. Immer noch rebellisch, immer noch unsicher, was er auch seinem Leben machen wollte, begann er mehrere Ausbildungen und brach sie wieder ab, bis er eine Buchhändlerlehre im malerischen Tübingen begann und auch erfolgreich beendete.

Die Arbeit als Bücherlehrling darf man sich keineswegs entspannt vorstellen; die Tage waren lang, oft arbeitete Hermann bis zu zwölf Stunden am Tag, verpackte, sortierte und archivierte. Nach der Arbeit war es keineswegs so, dass er von Büchern nichts mehr sehen wollte, sondern er bildete sich privat weiter, las gerne Goethe, Lessing, Schiller und die altgriechischen Mythen, später auch Novalis, Brentano, Tieck und Eichendorff. Die Bücher ersetzten ihm soziale Kontakte, denn Hesse war in jener Zeit (und auch später in seinem Leben und nicht immer ungewollt) oft einsam.

Hesse veröffentlichte in dieser Zeit erste Werke, allerdings noch ohne Erfolg. Nach Beendigung der Lehrzeit begann er im Jahr 1899, in einem Antiquariat in Basel zu arbeiten; hier, in der Stadt, in der seine Eltern viele Gelehrtenzirkel kannten, eröffnete sich ihm eine neue Welt aus Diskussion und geistig-künstlerischer Inspiration. Hesse schätzte dennoch sein Einzelgängertum und schätzte es, sich alleine in die Natur zurückziehen und seine dortigen Erlebnisse und Ausblicke mit der Feder festhalten zu können.

Diese Aufzeichnungen waren mittlerweile von mehr Erfolg gekrönt; mit den Romanen Peter Camenzind (1904) und Unterm Rad (1906) erlebte Hesse seinen Durchbruch und konnte nun als freier Schriftsteller arbeiten – und sich eine Heirat leisten.

Hesse lernte in Basel die Fotografin Maria Bernoulli kennen, die ganze neun Jahre älter war als der mittlerweile sechsundzwanzigjährige Hermann, heiratete sie und zog mit ihr 1903 in das zurückgezogene Dörfchen Gaienhofen am Bodensee. Aus ihrer Ehe gingen drei Söhne hervor, die alle eine künstlerische Veranlagung in sich trugen und später Kunstmaler und Grafiker, Dekorateur und Fotograf werden sollten.

Unruhe & Reisen


So ganz konnte Hesse sich dem bürgerlichen Leben nie anpassen. Er war häufig auf Reisen und frönte dem Einsiedlerdasein. Während Maria früher noch mit ihm gereist war, beispielsweise nach Italien, ein Land, dem Hesse stets innig verbunden blieb, hütete sie nun das Heim und die Kinder, während ihr Ehemann beispielsweise 1911 nach Indien reiste; eine Erfahrung, die sich später in seinem Werk Siddhartha (1922) niederschlagen wird, in dem seine Faszination für indische Lebensweise und die buddhistische Kultur zum Ausdruck kommt.

Vielleicht war also auch das Reisen ein Grund dafür, dass die Meinungsverschiedenheiten in der Ehe immer weiter zunahmen, bis sich das Paar schlussendlich 1923 scheiden ließ. Diese traurige Erfahrung einer scheiternden Beziehung hielt Hesse später in dem Roman Roßhalde (1914) fest.

Dazwischen aber gab es noch ein Ereignis, das nicht nur Hermann Hesse, sondern die Welt erschütterte: Der Erste Weltkrieg brach aus. Hermann meldete sich freiwillig, wurde jedoch als untauglich befunden und der Bücherzentrale für deutsche Kriegsgefangene zugeteilt. In deren Namen verschickte er Bücher an deutsche Kriegsgefangene; eine Arbeit, die ihm wahrscheinlich sehr viel besser lag als das Kriegshandwerk.

Hesse war nie ein Freund des Nationalismus, den er als wahres Gift und dessen Aufstieg er mit Sorge betrachtete; er sprach sich öffentlich und entschieden gegen jene Geisteshaltung aus und war schon bald kein Freund des Krieges mehr. Davon zeugt auch sein Werk Demian, das 1917 zunächst unter dem Pseudonym Emil Sinclair veröffentlicht wurde und bei der damaligen Jugend einschlug wie eine Bombe.

Wenn man aber an dem Weltbild von Anderen rüttelt, geht das selten ohne Rumpeln ab – er wurde stark von der Öffentlichkeit und Presse angefeindet, sogar alte Freunde sagten sich von ihm los. Hesse wird dies später als Wende in seinem Leben bezeichnen und zeit seines Lebens Kriegsgegner bleiben.

Nach Tessin


Das war nicht der einzige Konflikt, der Hesse zu jener Zeit beschäftigte; sein Vater starb 1916, seine Ehe mit Maria Bernoulli zerbrach, und sein Sohn Martin erkrankte schwer an einer Gehirnhautentzündung. Das stürzte den empfindsamen Hermann in eine schwere Lebenskrise, weshalb er sich in psychiatrische Behandlung begab, nach Ende des Krieges allein ins Tessin umsiedelte und hier in der Casa Camuzzi, einem palazzoartigen Gebäude, vier kleine Räume bewohnte, von denen aus er den Luganersee betrachten und in Ruhe schreiben und zeichnen konnte.

In Tessin lernte er die Sängerin und Malerin Ruth Wenger, die sich als Künstlerin Claudia nannte, kennen; sie wurde seine Geliebte und später seine Frau. Ruth reichte allerdings drei Jahre später bereits die Scheidung ein, der Hesse diesmal nur unwillig zustimmte. Zwischen Hermann und Ruth soll eine sehr starke erotische Anziehung geherrscht haben und beide teilten eine leidenschaftliche Begeisterung für die Künste; aber ihre Lebensziele und Ansichten müssen so unterschiedlich gewesen sein, dass dies für eine gemeinsame Zukunft nicht ausreichte.

In eben jenem Jahr der Scheidung, nämlich 1927, erschien der erfolgreiche und düster-nachdenkliche Roman Der Steppenwolf, drei Jahre später die märchenhafte Erzählung Narziß und Goldmund (1930), und lange allein blieb Hesse auch nicht: Er ehelichte die Kunsthistorikerin Nina Dolbin und zog mit ihr in die Casa Hesse am Südende von Montagnola. Hier und mit ihr sollte er bis zu seinem Lebensende bleiben (abgesehen von ein paar Reisen natürlich, wir reden hier immer noch von Hesse). Die Ehepartner empfingen in ihrer Bibliothek gerne Gäste, unterhielten rege Literatur- und Gesprächskreise und überstanden den Zweiten Weltkrieg, der Hesse wiederum tief betroffen machte – nicht nur, weil seine Werke von den Nationalsozialisten als volksfeindlich verdammt wurden.

Endlich Ruhe und Klarheit? Hesses Lebensabend


In der Casa Hesse begann ihr Bewohner mit seinem letzten großen und wahrscheinlich auch seinem besten Werk: Das Glasperlenspiel, das 1943 gedruckt wurde, und bei der Entscheidung, Hesse den Liternaturnobelpreis zu verleihen, gewiss keine kleine Rolle spielte.

Nach dem zweiten Weltkrieg ging Hesses schriftstellerische Tätigkeit stark zurück und er verlegte sich mehr aufs Briefe schreiben; seine beeindruckende Korrespondenz umfasste Thomas Mann, Bertold Brecht, Romain Rolland, Stefan Zweig, Theodor W. Adorno und viele mehr.

Hesses allerletztes Gedicht, weitaus weniger bekannt als das berührende Gedicht Stufen (1941), das jeder mal gelesen haben sollte, hieß Knarren eines geknickten Astes und beschrieb das Gefühl eines nahenden Todes. Er schrieb es in seiner letzten Lebenswoche. Im Jahr 1962 starb Hesse im Schlaf an einem Schlaganfall.

Man könnte Hermann Hesse als einen Suchenden beschreiben; einen Menschen, der sowohl in seinem literarischen Werk als auch in seinem Leben, in seinen Reisen, Beziehungen und Gedanken, stets getrieben wurde von einer großen Neugierde für die Welt und das menschliche Wesen. Auch negative und ernüchternde Erfahrungen scheinen ihm auf Dauer weder Humor noch Hoffnung ausgetrieben zu haben.

Hesse wurde ruhiger im Alter und akzeptiere mit Gelassenheit, was ihn früher an den Rand des emotionalen Zusammenbruchs brachte, nämlich vor allem sich selbst. Dabei, und das ist für uns ein Glück, war ihm das Schreiben eine große Hilfe, eine Art Therapie, von der heute auch andere lernen und vielleicht einige Lebensweisheiten umsetzen können, denn, um mit einem meiner Lieblingszitate von Hesse zu schließen:

„Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.“

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