Virginia Woolf: Schriftstellerin und Feministin

Virginia Woolf: Schriftstellerin und Feministin

Der 28. März 1941. Virginia Woolf, Schriftstellerin, Ehefrau, Vorbild und Feministin, wählt den Fluss Ouse, um im Wasser ihr Leben zu beenden. Sie ist eine gute Schwimmerin, daher packt sie einen großen Stein in ihren Mantel. Er ist schwer genug. Erst drei Wochen später wird ihre Leiche gefunden. Sie hinterlässt zwei Abschiedsbriefe, einen davon an ihren Ehemann Leonard Woolf, in dem sie schreibt:

„Liebster, ich spüre mit Sicherheit, dass ich wieder verrückt werde. (…) Alles, außer der Gewissheit Deiner Güte, hat mich verlassen. Ich kann Dein Leben nicht länger ruinieren. Ich glaube nicht, dass zwei Menschen glücklicher hätten sein können, als wir gewesen sind.“

Am Tag zuvor war Virginia mit ihrem Mann bei einer befreundeten Ärztin in Brighton gewesen. Der Grund: Eine starke depressive Phase, Ausdruck einer psychischen Krankheit, mit der Virginia seit ihrem 13. Lebensjahr zu kämpfen hat.

War dies der Grund für Virginias Freitod? War sie schlicht eine psychisch kranke Frau, die mit dem Leben nicht mehr zurecht kam? Dass dieser Schluss der Frau Virginia Woolf nicht gerecht wird, erklärt uns ihre Biographin Hermione Lee:

„Virginia Woolf war eine normale Frau, die eine Krankheit hatte. Sie war oft leidend, aber sie war kein Opfer. Sie war weder schwach noch hysterisch, noch in Selbsttäuschungen befangen, noch schuldig, noch unterdrückt. Sie war im Gegenteil eine überaus mutige, intelligente und stoische Frau, die lernte, mit ihrem Zustand so gut wie möglich umzugehen und ihn so gründlich wie nur möglich zu verstehen. Mit bemerkenswert wenig Selbstmitleid ertrug sie in wiederkehrenden Phasen große seelische Pein und starke körperliche Schmerzen.“

Wir wollen versuchen, uns auf die Spuren von Virginia Woolf, der Autorin von Orlando und A Rooms of One’s Own, zu begeben und sie ein wenig besser verstehen zu lernen.

Feminismus & Familie

Der Essay A Room Of One’s Own, in dem sich zwei Themen verbinden, die Virginia in ihrem Schreiben stark beschäftigen, nämlich das Schreiben von Biographien und der Feminismus, wird zu einem der meistzitierten Texte der Frauenbewegung. In ihm beschreibt Woolf die fiktive Schwester von Shakespeare, ebenso genial, ebenso talentiert wie ihr Bruder, doch in einer Gesellschaft, die von einer Frau nichts lesen und nichts wissen will. Sie kann ihr Potential niemals ausschöpfen. Tragisch skizziert Woolf, wie das Leben von Frauen früher ausgesehen hat. Natürlich ist die Öffentlichkeit zu Virginias Lebzeit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr derart restriktiv – und doch erlegt die viktorianische Gesellschaft Frauen noch immer starke Beschränkungen auf.

Vor allem im Privaten erlebt Virginia dies mit, in Form ihres patriarchischen Vaters, Leslie Stephen. Leslie ist ein Schriftsteller, Künstler, Denker, doch auch wenn seine Tochter, die bei ihm Privatunterricht nimmt, ihren väterlichen Lehrer bewundert, beschreibt sie ihn als exzentrischen und egoistischen Tyrannen.

Nach dem Tod der Mutter Virginias überträgt Leslie die Hausfrauenpflichten auf die älteste Tochter, Stella, und belastet sie zunehmend mit seinen ungerechten Forderungen nach Aufmerksamkeit und Trost. Als Stella heiraten und den Vater verlassen möchte, wird er eifersüchtig, klagt und jammert und verzögert die Hochzeit.

Stella, eine Art Ersatzmutter für die jüngeren Geschwister, stirbt ebenfalls früh an einer Bauchfellentzündung. Ebenso wie der Tod der leiblichen Mutter trifft dieser Verlust Virginia sehr schwer und sie schließt sich enger mit ihrer Schwester Vanessa zusammen, mit der sie lebenslang ein sehr intimes, aber auch problematisches und eifersüchtiges Verhältnis verbinden wird. Vanessa als die Nächstälteste übernimmt auch Stellas Rolle im Haushalt der Familie Stephen und hat unter den Forderungen und Beschwerden des Vaters zu leiden. Das verzeiht Vanessa ihm nie und auch Virginia muss empört und machtlos dabei zusehen. Die problematischen Beziehungen der Stephen-Familie wird Virginia später in ihrem Buch To the Lighthouse teilweise verarbeiten und sie legten gewiss den Grundstein für ihre Bestrebungen nach mehr Selbstbestimmung und Freiheit.

Schreiben

In der Bloomsbury-Group, einer Gemeinschaft von jungen liberalen Künstler*innen, Wissenschaftlern und Intellektuellen, benannt nach dem Londoner Stadtteil Bloomsbury, kann sie nach dem Tod des Vaters 1904 ihren Wunsch nach Freiheit mehr und mehr ausleben und wird von ihren dortigen Freunden und Freundinnen zum Schreiben ermutigt und inspiriert. Sie schreibt bald für mehrere Zeitschriften und Zeitungen. Ihren ersten von vielen Romanen, The Voyage Out, der autobiographische Spuren aufweist, veröffentlicht sie im Jahr 1915.

Zehn Jahre später erscheint ihr bedeutender Roman Mrs Dalloway, der innovativ die Erzähltechnik des „Stream-of-consciousness“ (Bewusstseinsstrom) nutzt, ein Stil, der heutzutage noch oft von Schriftsteller*innen gebraucht wird und wenige Zeit später To the Lighthouse (s.o.). Beide gelten als „experimentell“, ebenso wie The Waves, ein Roman, der 1931 erscheint und den Bogen über sechs Menschenleben spannt, von klein auf bis ins Erwachsenenalter, gebettet in den Ablauf eines einzigen schönen Sommertages.

Es gibt noch viel Lesenswertes von Virginia Woolf, aber so viel Platz haben wir hier nicht. Wiederkehrende Themen in ihren Werken sind Biographien, die Schönheit, Grausamkeit und manchmal Absurdität menschlichen Lebens, und die Beschäftigung mit der Rolle der Frau und Frauenfeindlichkeit innerhalb der Gesellschaft. Letzteres schlägt sich vor allem in The Years, ihrem umfangreichsten Werk, dem feministischen Essay Three Guineas und natürlich im berühmten Text A Room of One’s Own nieder.

Liebe

Auch wenn Virginia eine (nach allem, was wir wissen) glückliche Ehe mit Leonard Woolf führt, fühlt sie sich mehr zu Frauen hingezogen und pflegt mehrere homoerotische Beziehungen, auch während ihrer Ehe; beispielsweise zu Vita Sackville-West, deren Persönlichkeit Virginia in ihrem humorvollen Roman Orlando beschreibt.

Virginia wird von vielen Zeitgenossen als umschwärmt und schön, aber auch kalt und unnahbar beschrieben. Immer wieder wird von ihren Biograph*innen vermutet, dass sie als Kind von ihrem zwölf Jahre älteren Halbbruder sexuell missbraucht wurde. Genau wissen wir es nicht, doch Virginia selbst gibt in Eine Skizze der Vergangenheit eindeutige Hinweise darauf, dass ihr Halbbruder sie zumindest unzüchtig berührt hat. Was auch immer genau passiert ist; wichtig und ausreichend muss sein, dass Virginia diese Berührungen als Übergriff und als Grund für ihre späteren Probleme mit sich selbst und ihrer Sexualität empfindet.

Leonard Woolf erhört und heiratet sie 1912 nicht aus romantischen, sondern eher aus pragmatischen Gefühlen; sie schätzt ihn, er ist ihr ergeben, ein „Fels in der Brandung“, zuverlässig und vernünftig. Die Ehe verläuft nicht ohne intensive Arbeit von beiden Seiten, insgesamt jedoch glücklich. Sie ergänzen sich gut, denn Virginia ist kompliziert und schonungsbedürftig und Leonard kümmert sich gern. Er macht sie zu seinem Lebensprojekt und steht ihr zeitlebens zur Seite.

Krankheit

Leonard Woolf liebt seine Frau. Einfach kann ihre Beziehung aber nicht gewesen sein, denn Virginia leidet unter wiederkehrenden Schüben ihrer „Krankheit“, die wir heute wahrscheinlich als bipolare Störung beschrieben würden. Manische Phasen voller Entschlusskraft und Energie wechseln sich ab mit tiefer Depression, Hoffnungslosigkeit und Selbstzweifeln, vor allem, was ihr Schreiben betrifft. Die erste derartige Phase erlebt Virginia nach dem Tod der Mutter mit 13 Jahren, eine weitere nach dem des Vaters, dem auch der Verlust ihrer älteren Schwester Stella vorausgeht. Etwa drei bis vier weitere schwere Anfälle folgen, bis sie sich schließlich 1941, im Alter von 59 Jahren, endgültig dazu entschließt, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.

Die durchwachsene Beziehung mit dem Selbst, ob nun in positivem oder negativem Kontext, nimmt einen großen Raum in Virginia Woolfs Schreiben, Leben und in ihren Tagebüchern ein. Sie schreibt viel über die Selbstsucht, das Ego; gerne möchte sie es überkommen und kann es schlussendlich, wie alle Menschen, ja  doch nicht. Sie schwankt zwischen der Lust am (Rollen-)Spiel in der Gesellschaft und ihrem leidenschaftlichen Bedürfnis nach Alleinsein, Ruhe und Unabhängigkeit, gleichzeitig aber nach Schutz und Zärtlichkeit; sie will wachsen und lernen und ist doch stark empfindlich gegen jede Art von Kritik; sie strebt nach Freiheit und Gleichberechtigung der Frau und ist doch geprägt von der viktorianischen Erziehung und Gesellschaft, die sie umgibt.

Diese zerrissene, schillernde, verworrene und schöne Vielfalt spiegelt sich auch in Virginias Werk wieder und macht die Schriftstellerin ebenso wie ihr Schaffen für die Nachwelt noch Jahrzehnte nach ihrem tragischen Tod faszinierend und inspirierend – und wahrscheinlich noch für viele Jahre mehr.

Als Quelle für diesen Beitrag diente u.a. die Biographie von Hermione Lee, „Virginia Woolf. Ein Leben“, Frankfurt am Main 2006, die ich allen, die sich für Virginia Woolf interessieren, wärmstens empfehlen kann.

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